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Viele Fragen zur Windenergie / Bürgerentscheid rückt näher

| Windenergie


Fachleute stehen Rheinstettenern Rede und Antwort

Publikum Nachhaltigkeitstage

Soll die Stadt eine Fläche zwischen Bahnlinie und L566 für den Betrieb von Windenergieanlagen verpachten? Um diese Frage geht es am 26. September bei einem Bürgerentscheid, an dem sich über 17.000 Rheinstettener Bürgerinnen und Bürger ab 16 Jahren beteiligen können. Zu diesem Anlass organisierte die Stadt Rheinstetten eine Informationsveranstaltung, bei der noch offene Fragen beantwortet werden konnten. Das Interesse war groß, die Keltenhalle in der vergangenen Woche nahezu voll besetzt. Fachleute und lokale Akteure wie die Bürgerenergiegenossenschaft oder der Jugendgemeinderat informierten an Ständen und in Vorträgen, Fotomontagen zeigten, wie die Windräder aus verschiedenen Blickwinkeln aussehen könnten. Drei weiße Riesen, vom Fuß bis zur Flügelspitze zwischen 240 und 250 Meter hoch, mit roten Streifen an Rotorenspitzen und Säulen.

Bei der Visualisierung sei man bewusst vom „Maximum“ ausgegangen, betonte Oberbürgermeister Sebastian Schrempp (CDU) bei der Veranstaltung, die vom Forum Energiedialog Baden-Württemberg moderiert und begleitet wurde. 250 Meter seien die höchsten Windräder, die derzeit in Deutschland gebaut würden, und drei Anlagen hätten auf der vom Nachbarschaftsverband Karlsruhe für Windenergie ausgewiesenen Fläche im Gewann Stiftäcker maximal Platz. Es könnten aber auch weniger Anlagen dorthin kommen. Klar sei aber, so Schrempp, dass man eine Entscheidung treffe, „die unser Stadtbild und unser Landschaftsbild nachhaltig verändert“. Und: „Es gibt keine Technik, mit der wir Energie gewinnen können, die keine Nachteile hat.“

Ein Knackpunkt im Genehmigungsverfahren, das erst nach positivem Bürgervotum beginnen würde, könnte die Gefährdung von Vögeln und Fledermäusen durch die Windräder sein. Das hatte schon der Nachbarschaftsverband Karlsruhe in seiner groben Vorprüfung hervorgehoben. Eine einjährige Untersuchung soll, für den Fall, dass der Bürgerentscheid positiv ausfällt, Klarheit über die Vogel- und Fledermauspopulation vor Ort bringen. Besonders im Blick stehen hierbei neben Fledermäusen Feldlerche und Rotmilane.

Es gebe Abschaltmechanismen, die sich an den Flugzeiten der Vögel orientierten, machte Ludwig Schulz vom BUND Rheinstetten auf die Frage einer Bürgerin nach der Gefährdung von Vögeln deutlich. Allerdings: „Dann ist die Frage, ob es unter diesen Bedingungen noch wirtschaftlich ist, die Anlagen zu betreiben.“ Auf ein bis drei Prozent schätzte Rolf Pfeifer vom Freiburger Beratungsbüro „endura kommunal“ den jährlichen Ertragsverlust durch die Abschaltzeiten der Windräder zum Vogelschutz. Ob sich die Anlagen wirklich rentieren, müsse eine einjährige Untersuchung zeigen, die aber erst nach der Freigabe der Flächen durch die Stadt erfolgen könne: „Kein Projektentwickler würde auf diesem Gelände eine Anlage bauen, ohne ein Jahr lang den Wind zu messen“, betonte Rolf Pfeifer.

Auf den ersten Blick erweise sich der Standort als geeignet. Das zeige der Windatlas Baden-Württemberg, in dem die sogenannte Windleistungsdichte erfasst wird. Die Kosten für drei Anlagen, so eine Modellrechnung von Pfeifer, lägen bei bis zu 17 Millionen Euro, nach zwölf bis 15 Jahren hätte sich die Investition amortisiert. Die Stadt könnte eine jährliche Pacht in Höhe von 50.000 Euro pro Windrad verlangen, und durch Gewerbesteuer könnten jährlich 60.000 bis 100.000 Euro gewonnen werden – allerdings erst, wenn die Anlage Gewinne abwirft. Die Einnahmen aus der EEG-Umlage (Erneuerbare-Energien-Gesetz) schätzt Pfeifer auf rund 72.000 Euro pro Jahr. Wie lange es die Förderung noch geben wird und wie hoch sie ausfällt, hänge auch von der Bundestagswahl ab. Alle großen derzeit im Bundestag vertretenen Parteien wollen die EEG-Umlage entweder abschaffen oder senken.

Dass sich der Betrieb von Windenergieanlagen ohne Staatszuschuss überhaupt noch lohnt, bezweifelte ein Bürger. Viele würden vom Netz genommen, weil die auf 20 Jahre angelegte Förderung auslaufe. „Es ist nicht gesetzt, dass Anlagen abgeschaltet werden müssen“, sagte Volker Deck von der Bürgerenergiegenossenschaft Rheinstetten, die den Bürgern eine finanzielle Beteiligung an den Erträgen der Windräder ermöglichen will. Die Technik sei heute deutlich weiter als noch vor 20 Jahren, neue Anlagen effizienter und die Stromproduktion somit billiger. Was mit den Anlagen passiert, die vom Netz genommen werden, wollte ein weiterer Zuhörer wissen. Sie würden nicht sofort verschrottet, erklärte Rolf Pfeifer, sondern im Ausland weiter verwertet. Von „Ressourcenverschwendung“, wie der Bürger anmerkte, könne also nicht die Rede sein.

Und dann waren da noch die Fragen zur Optik der Anlagen und zur Schallbelästigung, die von ihnen ausgeht. Christian Eulitz ist Sachverständiger für Immissionsschutz und hat die möglichen Auswirkungen auf die Rheinstettener unter die Lupe genommen.

Er bezeichnete den Lärm, der von den Anlagen ausgeht, mit maximal 30 bis 35 dB(A) als „absolut zumutbar“ für die Anwohner, die – bis auf drei einzelne – über einen Kilometer entfernt wohnen. Und der „Infraschall liegt weit unterhalb der menschlichen Wahrnehmungsschwelle“, so Eulitz.

Auch der Schattenschlag sei in dieser großen Entfernung kein Problem, machte Rolf Pfeifer deutlich. Nicht vermeidbar sind indes nächtliche Blinklichter an den Windrädern, die sie für herannahende Flugzeuge erkennbar machen. Ab 2023 sei die sogenannte „bedarfsgerechte Nachtkennzeichnung“ Pflicht, erklärte Moderator Christoph Ewen vom Forum Energiedialog (FED), das den Entscheidungsfindungsprozess in Rheinstetten begleitet. (Anmerkung der FED: Auf dem Markt befindliche Technologien für eine bedarfsgerechte Nachtbefeuerung funktionieren über Radarsensoren, die den Luftraum in der Umgebung überwachen. Hier sind Reichweiten der Radarsensoren von 8 bis 16 km auf dem Markt. Der Baden-Airport ist etwa 25 km von Rheinstetten entfernt. Quelle: ON–OFF Fachaustausch zur bedarfsgerechten Nachtkennzeichnung)

Abschließend äußerte eine Bürgerin aus Mörsch: „Ich finde die Windräder optisch ganz gut, vor allem, weil sie uns und Vorbeifahrende daran erinnern, was wir tun müssen, um ein gutes Leben für alle zu erhalten“, und ein Rheinstettener Schüler stimmte zu: „Das ist ein positives Zeichen, da ist was, was schon im Gang ist und jeder sieht, dass etwas passiert.“

Internet

www.rheinstetten.de/windenergie

Hintergrund

Der Nachbarschaftsverband Karlsruhe (NVK) ist ein Zusammenschluss aus elf Mitgliedsgemeinden, die zusammen mehr als 480.000 Einwohner zählen. Im gemeinsamen Flächennutzungsplan wird über die Gemarkungsgrenzen hinweg die Entwicklung von Siedlungs- und Freiflächen koordiniert. Der NVK legt zum Beispiel fest, wo im Stadtumlandbereich Wohnungen gebaut, Gewerbegebiete ausgewiesen, Industrien angesiedelt oder Grünflächen angelegt werden sollen. Die Planungsstelle des Nachbarschaftsverbandes ist bei der Stadt Karlsruhe angesiedelt. Diese verfügt in der Verbandsversammlung über 60 Prozent der Stimmen. (m.f.G.d.BNN/jtr)


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